Abenteuer der Kurrende-Knaben in der Kirche zu Spandau
In dieser Sage aus Spandau geraten Knaben durch Leichtsinn und Neugier ins Verderben. Die Sage spielt zunächst in einer Spandauer Kirche. Gemeint ist vermutlich die St.-Nikolai-Kirche, die vor der Reformation katholisch war. Das erwähnte Zauberbuch wird über die Jahrhunderte weg in vielen Schriften erwähnt. Dazu aber später. Zunächst viel Spaß beim Lesen der Sage.
- Abenteuer der Kurrende-Knaben in der Kirche zu Spandau - Die Sage
- Was sind Kurrende-Knaben?
- Das sechste und siebente Buch Mosis als Zauberbuch
Abenteuer der Kurrende-Knaben in der Kirche zu Spandau - Die Sage
*Die ursprüngliche Schreibweise und Rechtschreibung wurden beibehalten.
Er spielte weiter und verlor wieder. Da sprang der Böse auf, riß ihn zu sich, zog ihn mit in die Höhe, die Mauer tat sich auf und beide verschwanden. Und der Riß in der Mauer ist noch bis auf den heutigen Tag zu sehen und kann nicht übertüncht werden.
Auch ein anderes Mal soll durch den Übermut eines Kurrende-Knaben etwas Merkwürdiges dort passiert sein.
Bis vor hundert Jahren waren nämlich in der Kirche noch mächtige dicke Bücher, die an Ketten lagen. Darunter sollen auch das VI. und VII. Buch Mose gewesen sein, welche wir jetzt nicht mehr haben, in denen aber, wie man allgemein erzählt, alle die alten Zaubergeschichten enthalten sind.
Wie nun wieder einmal die Kurrende in der Kirche reinmacht, kommen sie an diese Bücher, und vorwitzig, wie die Knaben sind, werden sie sich an dieselben machen und sehen, was darin steht. Kaum aber haben sie selbige aufgeschlagen und fangen an zu lesen, da wird auch die ganze Kirche von unten bis oben voll von allerhand Geistern. Natürlich überfiel sie eine furchtbare Angst, und es war noch ein Glück, daß der Prediger hinzukam, der fing an, das Buch rückwärts zu lesen – da verschwand der Spuk.
Ähnliches erzählt man auch in Bernau. Da fand einmal ein Knecht angeblich das VI. und VII. Buch Mose, welche der Gutsherr hatte offen liegen lassen. Wie der anfing zu lesen, da füllte sich, heißt es, das ganze Gehöft mit Ratten, und als er weiter las, mit Raben, die kamen von allen Seiten herbeigeflogen, dann kamen lauter schwarze Männer und anderer Spuk. Zum Glück kam auch hier der Gutsherr hinzu und bannte alles, indem er rückwärts anfing zu lesen.
Die wahre Bibel, sagt man dort, liegt in Leipzig, die wird nie losgemacht. Nur Napoleon I. hat sie sich losmachen lassen, aber ist damit auch nicht weiter gegangen als bis vor den Altar und hat dort darin gelesen. Da hat er denn gesehen, wie alles kommen würde in Rußland, welche Generale ihm untreu werden würden usw. Nichtsdestoweniger hat er den Zug nach Rußland freilich doch unternommen.
Was sind Kurrende-Knaben?
Kurrende-Knaben sind kurz gesagt junge Sänger im Kirchenchor. Knabenchöre entstanden bereits in den mittelalterlichen Lateinschulen. Gesungen wurde aber nicht nur in der Schule, sondern die Knaben zogen gemeinsam mit ihren Lehrern oder älteren Schülern auch durch die Städte und sangen geistliche und ab dem 17. Jahrhundert auch weltliche Lieder. Für ihren Gesang sammelten sie Spenden ein. Wie es heißt, wurden diese zur Unterstützung mittelloser Schüler verwendet.
Dr. Lutz Libert weiß in "So ist's Brauch" zu berichten, dass die Kurrende-Sänger regelmäßig durch die Städte zogen, aber ihr Gesang besonders zum Ende des Jahres erwartet wurde. In der uckermärkischen Stadt Strasburg sang ein Kurrende-Chor zu Beginn des 18. Jahrhunderts immer am Silvesterabend. Der ansässige Magistrat hatte das angewiesen.
Der Begriff Kurrende kam vom lateinischen Wort für Laufen, nämlich currere. Die Tradition der Kurrende-Sänger wurde in späteren Zeiten von protestantischen Schulen in den Städten sowie der evangelischen Kirche übernommen und hat sich bis heute gehalten. Um reine Knabenchöre handelt es sich jedoch nicht mehr. In den Chören singen nun Mädchen und Jungen zwischen sechs bis 14 Jahren gemeinsam. Zu den Aufgaben der Kurrende gehören die Gestaltung der Liturgie und der Wechselgesänge mit der Gemeinde beim Gottesdienst. Zur Weihnachtszeit übernimmt der Kurrende-Chor die Quempas, bei der er sich um drei Weihnachtslieder in lateinischer Sprache handelt.
Kurrende-Sänger im Mittelalter waren in dunkle, weite Gewänder mit Kapuzen gekleidet. Heute tragen sie zumeist schwarze Umhänge mit einem weißen Kragen und einen schwarzen Hut. Zur Weihnachtszeit sieht man Kurrende-Sänger auch als geschnitzte Figuren auf Weihnachtspyramiden oder in weihnachtlichen Miniaturszenen.
Das sechste und das siebente Buch Mosis als Zauberbuch
Vermutlich im Spätmittelalter kamen die ersten Schriften auf, die als sechstes und siebentes Buch Mosis bezeichnet wurden und allerlei Aberglauben und Zauber enthielten. Wer in deren Besitz war, sollte über magische Kräfte verfügen und heilen können. Mit dem Propheten Moses und der Thora hatten diese Schriften vermutlich nichts zu tun.
Im Jahr 1797 erschien in Deutschland das "6. et 7. Liber Mosis" als Rezept- und Beschwörungsbuch nach Pfarrer A. Jacobi. Als "Sechstes und siebentes Buch Mosis" wurde es im Jahr 1848 als Wunderbuch in Anzeigen angepriesen und vielfach verkauft. Einige Exemplare waren in Spiegelschrift gedruckt, denn für höchste Wirksamkeit sollte das Buch von hinten nach vorn gelesen werden. In der Sage von den Kurrende-Knaben tut genau das der Prediger, der damit die Geister vertreibt.
Das "Sechste und siebente Buch Mosis" war nach dem Krieg in der DDR verboten, um Aberglauben und die Behandlung mit fragwürdigen und teilweise sogar gefährlichen Hausmitteln zu unterbinden. In Westdeutschland erschien es noch bis zum Jahr 1956. Dann durfte es auch hier nicht mehr verbreitet werden. Heute gibt es volkskundlich bearbeitete Fassungen, zum Beispiel "Das Sechste und Siebente Buch Mosis, sein wahrer Wert und was das Volk darin sucht", herausgegeben von Wolfgang Bauer.
Quellen
* Das Sechste und Siebente Buch Mosis, sein wahrer Wert und was das Volk darin sucht, Hrsg. Wolfgang Bauer, Karin-Kramer-Verlag, Berlin 1996* So ist's Brauch. Bräuche und Traditionen im Jahreslauf in der Uckermark und im Barnim, Dr. Lutz Libert, Verlagsbuchhandlung Ehm Welk, Schwedt 2019
* Was die schwarze Kuh scheißt, das nimm ..., Christel Lehmann-Enders, Heimat-Verlag Lübben, 2001
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